Die dunkle Zeit Kambodschas
Geposted: 16. Mar 13:39
Der Vietnamkrieg wütete nicht nur im Land selber, auch die Nachbarstaaten Laos und Kambodscha wurden bombardiert, da die Nachschubwege der Vietcong sie durchkreuzten. Darunter zu leiden hatte vor allem jedoch die Zivilbevölkerung. Dies und die hohe Armut begünstigte die Machtergreifung Pol Pots und der seiner Roten Khmer. Wir haben uns heute mit dem dunkelsten Kapitel seiner Herrschaft beschäftigt. Bevor ich jedoch zu unseren Eindrücken komme, ist noch ein wenig Hintergrundwissen nötig. Pol Pot hat die Vision eines Kommunistischen Bauernstaates. Er ließ Geld verbieten und alle Schulen und Tempel schließen. Schon drei Tage nach der Machtübernahme war die Hauptstadt Phnom Penh eine Geisterstadt, da alle Menschen auf das Land deportiert worden und dort zur Landarbeit in Kollektiven gezwungen wurden. Überarbeitung und Hunger dezimieren die Menschen, am schlimmsten waren wohl jedoch die Intellektuellen dran. Dazu zählen neben Ärzten, Journalisten und Lehrern aber auch Menschen, die eine Fremdsprache beherrschten, eine Brille trugen oder "weiche Hände" hatten. Viele von ihnen kamen nach Tuol Sleng, unserer ersten Station. Das Gesehene war für uns teilweise schwer zu verkraften, aber dennoch wollen wir darüber schreiben, weil nur das Wissen darüber solche Grausamkeiten in Zukunft verhindern kann. Wenn euch so etwas sehr nahe geht, überspringt die nächsten drei Absätze und vor allem die Bilder. Die Schule im Herzen der Stadt wurde von den Roten Khmer als Gefängnis genutzt. Wie die Nazis führten sie peinlich genaue Aufzeichnungen über alle Gefangenen. Alle wurden fotografiert, teilweise bevor und nachdem sie gefoltert wurden. Insgesamt über 17 000 Männer, Frauen und Kinder in nicht einmal vier Jahren Herrschaft. Als die vietnamesische Armee das Gefängnis 1979 erreicht, sind noch sieben der Insassen am Leben. In den meisten der Folterräume befindet sich nur das Bett von damals und ein Foto von einem Gefangenen an der Wand, wie er nach den Folterungen in unnatürlichen Positionen auf dem Bett liegt. Raum für Raum, jedes Mal ein neues Opfer, jedes Mal ein Blutbad unter dem Bett. Im Hof stehen Schilder, die erklären, wie der Spielplatz der ehemaligen Schule als Foltergerätschaften umgebaut wurde. In mehreren Räumen sind riesige Tafeln mit den Fotos der Insassen. Die leeren Blicke von tausenden Menschen lassen einen Schauer über den Rücken laufen. Im letzten Raum ist ein Panorama Foto. Zu sehen ist eine hügelige Sumpflandschaft, auf dem ganzen Boden liegen jedoch hunderte Knochen und Schädel verstreut. Aufgenommen wurde dieses schaurige Bild etwa ein halbe Fahrstunde von Phom Penh, in den sogenannten "Killing Fields", die wir als nächstes besuchen. Der Eingangsbereich wirkt zuerst wie ein Arbeitslager. In das vorderste Gebäude wurde die in Lastwagen mit verbundenen Augen angelieferten Gefangen gebracht. Die drei anderen Gebäude dienten zur Lagerung von Chemikalien, Gartenwerkzeug und als Administration. Denn auch hier wurde peinlich genau Buch darüber geführt, wie viele Menschen in Phnom Penh auf den Laster gestiegen sind und wie viele hier ihr Ende fanden. In zweiter Reihe sieht man dann eine Mondlandschaft aus Kuhlen. Über 120 Massengräber wurden hier gefunden. Da Kugeln zu wertvoll waren, wurden die Gefangenen mit verbundenen Augen an den Rand der bis zu fünf Meter tiefen Gruben geführt und dann mit Gartenwerkzeugen erschlagen: Schaufeln, Hacken oder nur Bambusstöcken. Um die Schreie zu überdecken, liefen aus einem Lautsprecher die ganze Nacht über revolutionäre Lieder; gegen den Gestank wurden die Chemikalien auf die Leichen verschüttet. Zumindest in der Anfangszeit bei ca. 50 Tötungen pro Nacht. Bei über 300 im letzten Jahr der Herrschaft der Roten Khmer blieb dafür keine Zeit mehr. Als 1979 vietnamesische Soldaten das Lager erreichten, bot sich ihnen ein noch abscheuliches Bild. Die verwesenden Leichen ließen die Gräber aufquellen und entließen einen eitrigen Geruch über das gesamte Gebiet. Doch auch heute noch werden jedes Jahr während der Regenzeit Knochen an die Oberfläche gespült. Einige liegen in einem Glaskasten, andere einfach achtlos obenauf. Ein Grab neben einem Baum leuchtet besonders durch die bunten Armbänder, die die Besucher als Andenken niedergelegt haben. In ihm wurden nur Frauen und Kleinkinder gefunden. Die Säuglinge wurden vor den Augen ihrer Mütter gegen den Baum geschlagen und dann in die Grube geworfen, bevor diese getötet wurden. Erst nach der Öffnung der Gräber wurde klar, warum der "Killing Tree" so mit Blut, Hirn und Haaren verkrustet war. Als Andenken an die vielen Opfer wurde im Zentrum des Gebietes eine Stupa errichtet, in der die Menschen ihre letzte Ruhe finden sollten. Obwohl nur die Schädel hier dicht an dicht liegen, ist dennoch kein Platz mehr und man hat sich entschlossen, das letzte Drittel der Massengräber nicht zu öffnen. Erst im Inneren der Stupa bekommt man ein Gefühl für die Höhe, was einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Denn Ebene für Ebene liegen insgesamt 9000 Schädel. Insgesamt fielen dem Pol Pol Regime 1,7 bis 2,2 Millionen Menschen zum Opfer. Etwa die Hälfte kam bei den Märschen auf das Land oder bei der Zwangsarbeit durch Erschöpfung oder Hunger um. Der Rest wurde jedoch in einem der über 100 Tötungslager umgebracht. Bei der Machtübernahme lebten rund 8 Millionen Menschen in Kambodscha - in nicht einmal vier Jahren haben die Roten Khmer ein Viertel von ihnen ausgelöscht. 1974 hatte Phnom Penh 2,5 Millionen Einwohner, 1978 waren es noch 20.000. Es soll in Kambodscha keine Familie geben, die niemanden verloren hat. Manche Kambodschaner haben keine Familie mehr. Umso erstaunlicher ist es, welch offene und freundliche Menschen wir kennenlernen durften. Wir haben bisher kein anderes Volk getroffen, das so gerne und viel lacht. Man ist fröhlich und interessiert an uns, der Schmerz sitzt wohl tiefer.
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